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Handwerk mit Charakter

Ächt Schwiiz! Unter diesem Motto veröffentlicht das Wandermagazin Schweiz in jeder Ausgabe eine spannende Hintergrundgeschichte. Für die aktuelle Ausgabe durften wir Hans-Jörg Karlen über die Schulter blicken. In Törbel stellt er mit viel Herzblut und Handarbeit verzierte Glockenriemen her.


Wir sind in Törbel, einem urigen Bergdorf im Wallis. Ein Ort, so steil wie eine Treppe. Von der Aussicht auf die höchsten 4000er der Schweiz bekommt man nie genug. Der Dorfkern ist geprägt von engen Gassen, die Häuser sind von der Sonne schwarz gebräunt. Man kennt sich im Dorf. Jeder ist per du. Wenn es sein muss, bringt man aus dem Dorfladen dem Nachbarn gleich auch grad ein Pfund Walliser Roggenbrot mit. In dieser malerischen Idylle wird es abends still. Doch wenn nach einem schönen Märztag die Nacht einbricht, brennt in der Sattlerei von Hans-Jörg Karlen noch lange Licht. «Der Frühling ist für mich eine intensive Zeit», sagt der gelernte Schuhmacher. «Im Frühling bestellen viele Kunden bei uns die schön verzierten Glockenriemen.»


Wir betreten die kleine Werkstatt von Hans-Jörg Karlen. Es ist ein bisschen wie das organisierte Chaos. An der Wand hängen gefühlt Hunderte Werkzeuge. Schön nach Grösse und Funktion sortiert. Auf den Tischen und den Regalen liegen Fetzen von Leder, kleine Kästchen mit unterschiedlichsten Nieten, Schachteln voller Dekomaterial. Kein Zentimeter Ablage ist frei; erstaunlich, dass Karlen nie etwas suchen muss. Der Geruch von Leder und auch ein bisschen Staub liegt in der Luft. In der hinteren Ecke tönt leise Radio Rottu, der Lokalsender aus dem Oberwallis. Doch Hans-Jörg Karlen hört nichts, er ist vertieft in seine Arbeit – und schwelgt dabei auch in den Erinnerungen an seinen verstorbenen Vater Titus.




Wie alles begann

Titus Karlen hat Ende der 40er-Jahre in Zermatt das Handwerk des Schuhmachers erlernt. 1951 gründete er in seiner Heimat Törbel seine eigene Schuhmacherei. In eben dieser kleinen Werkstatt hat die Sattlerei Karlen, die heute als Familienunternehmen Karlen Swiss weltbekannt ist, seinen Ursprung. In der alten Postfiliale, mitten im Dorf, eine steile Gasse hinauf, richtete Titus seine Werkstatt ein. Schnell machte er sich weit über die Dorfgrenzen hinaus einen Namen für seine hochwertige und zuverlässige Arbeit. Handgemachte Schuhe, Pferdegeschirr, Glockenriemen, Gürtel, anfallende Reparaturen, verschiedene Accessoires und zahlreiche Militärartikel – seine Qualität und Liebe fürs Detail zeichneten seine Arbeitsweise aus. Insbesondere die kunstvoll verzierten Glockenriemen für Eringerkühe, Schafe oder Ziegen sind noch heute bekannt und überdauern Generationen. Um das geschickte Handwerk zu erhalten, hat sein Sohn Hans-Jörg viel von seinem Vater gelernt. «Ich mach einen Glockenriemen heute noch genau gleich wie mein Vater vor 70 Jahren», sagt Karlen und überlegt sich dabei, wie er den neuen Riemen gestalten soll. «Ich frag mich oft, wie wohl mein Vater jetzt diesen Glockenriemen verzieren würde.»


Jeder Glockenriemen ein Unikat

Wenn Hans-Jörg Karlen an diesem Märztag einen Glockenriemen macht, so schneidet er zuerst die Form des Riemens aus dem besten Stück des Leders. «Qualität ist hier sehr wichtig, wenn die Glockenriemen für Generationen halten sollen», sagt Karlen. «Sonst würde der Glockenriemen schnell reissen. Und das will niemand.» Seine Werkzeuge sind das Locheisen, verschiedene Messer, ein Halbmond zum Schneiden des Leders und natürlich einen Hammer. Hat das Leder die Form der Schnalle, stanzt Karlen die Löcher für die Schnalle. Dann beginnt schon der kreative, künstlerische Teil der Arbeit: Der Glockenriemen wird verziert. «Jeder Riemen ist ein Unikat.» Hans-Jörg Karlen hat zwar von seinem Vater das Handwerk erlernt, doch es gibt kein Muster, dass er übernehmen könnte. «Man weiss zu Beginn der Arbeit nie, wie der Glockenriemen schlussendlich aussehen wird.» Als Karlen als kleiner Junge seinem Vater bei der Arbeit über die Schultern schaute, verstand er nie, warum man nicht schon von Beginn an weiss, wie der Riemen schlussendlich aussehen wird. Heute versteht er es. «Wie eine Glocke letztlich aussehen wird, hängt von meiner Kreativität ab. Und die ist jeden Tag anders», so der Walliser. Wichtig sei einfach, dass die Verzierungen auf dem Riemen innerhalb eines gewissen Masses sind, damit sie am Hals des Tieres schön zur Geltung kommen. Ein spezielles Erkennungszeichen für seine Glockenriemen hat Hans-Jörg Karlen nicht. Und dennoch erkennt er noch heute jede Riemen, die er oder sogar sein Vater gemacht haben. «Die Naht, die wir machen, ist speziell und habe ich sonst noch nirgends gesehen», sagt Karlen mit einem gewissen Stolz. Sagt es und lässt seiner Handwerkskunst weiter freien Lauf. Mit Nieten, Faden und Stoffen nimmt der Glockenriemen Stunde für Stunde Gestalt an. Heute wird es eine Glocke für einen Geburtstag. Der Name des Geburtstagskindes und sein Ortswappen sollen auf dem Glockenriemen sein. Rund einen Tag lang hämmert, schneidet und tüftelt Hans-Jörg-Karlen an einem Riemen. Heute ist er mit seinem Endprodukt zufrieden. Der letzte Schritt ist gemacht: Eine Glocke aus dem Unterwallis wird am Riemen befestigt. Voila. So schliesst sich der Kreis, dass dieses Geburtstagskind ein Geschenk bekommen wird, dessen Handwerk seit nunmehr 70 Jahren in Törbel Tradition hat.



Von der Heimat geprägt

Die Verbundenheit mit der Schweiz hat Karlen Swiss weltberühmt gemacht. Denn auch die Taschen aus alten Armeedecken hatten sich im In- und Ausland bewährt und sind mit ihrer «Swissness» im Trend. Die Hintergrundidee, alte, teilweise gebrauchte Materialien zu recyceln und daraus modische Accessoires zu machen, trifft den Nerv der Zeit. Seit der Lancierung der ersten Kollektion hat sich Karlen Swiss stets weiterentwickelt. Inzwischen ist das Sortiment gewachsen und neben ausgemusterten Armeedecken werden auch alte Postsäcke oder Schwingerhosenstoff in 100 % Handarbeit zu zeitlosen Produkten verarbeitet. Ein Team aus Törbjer Frauen haucht diesen Zeitzeugen mit kreativen Ideen neues Leben ein und schickt sie auf der Suche nach neuen Menschen, Geschichten und Erlebnissen in die Welt hinaus.


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